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Januar 2004
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The Angels Share

The Angel’s Share

Die Verdunstung von Whisky während der Lagerung

Wenn wir Whisky-Genießer nach einem guten Leben den Weg alles irdischen gehen müssen, dann möchten wir alle bitteschön als Engel auf einer Wolke über einer schottischen Brennerei unsere Harfe spielen und Hosianna rufen ...

Denn jährlich entweichen in Schottland mehrere Millionen Liter Whisky während der Reifung durch die Wand der Eichenfässer. Warum verringert sich überhaupt der Füllstand der Fässer während der Lagerung? Sind die verwendeten Eichenfässer fehlerhaft und nicht dicht? Kann man den Schwund reduzieren, wenn man den Whisky anders lagert oder in einer anderen Alkoholstärke zum Lagern abfüllt?

Die herumgereichten Zahlen für die Abnahme pro Jahr reichen von 0,5% bis zu 3% pro Jahr. Selten wird dazu gesagt, um welchen Verlust es sich dabei handelt. Ist es die abgenommene Flüssigkeitsmenge im Fass pro Jahr; oder der abgenommene Alkoholgehalt in Prozentpunkten; oder ist es gar die Abnahme der reinen Alkoholmenge im Fass? Lassen Sie uns beispielhaft an einer 12 jährigen Auchentoshan Abfüllung von Signatory aus dem Jahr 1992 ein paar Zahlen rechnen.

Ein Ex-Bourbon-Barrel mit rund 200 Liter Fassungsvermögen wurde vor 12 Jahren von der Brennerei mit 63,5% starkem Rohdestillat befüllt. Für diese fast durchgängig übliche Stärke der Erstbefüllung von 63,5% findet man in der Branche zwei Begründungen: "In alter Zeit wurden Fässer mit höherem Alkoholgehalt überproportional stark besteuert." Andere Quellen besagen sogar: "dass es verboten war, mit höherem Alkoholgehalt abzufüllen."

Heute gibt es keine solche Vorschrift mehr, aber es hat sich gezeigt, dass in dieser Einfüllstärke der Whisky gut reift und sich eine schöne Balance zwischen der Aufnahme von Aromen aus der Fasswand und der Verdunstung durch die Poren des Eichenholzes ergibt. Gehen wir von der üblichen Größe eines American Standard Barrels ASB (55 Galonen je 3,78 Liter = 207 Liter) aus, so befinden sich zum Zeitpunkt der Befüllung 132 Liter reinen Alkohols im Fass. Abgefüllt wurden 323 Flaschen in einer Stärke von 46%, was nur noch 104 Liter reinen Alkohols entspricht. Rechnerisch ist dies ein mittlerer Verlust von 2,4% der enthaltenen Alkoholmenge pro Jahr.

Überprüft man diese Zahlen an anderen Flaschen für verschiedene Fasstypen und relativ kurze Reifezeiten, so erhalten wir einen Bereich von etwa 2 bis 4% Abnahme pro Jahr. Dies ist eine Zahl, die nur Regierungen und Brennereien interessiert, da dieser verdunstete Alkohol für die Brennerei ein Verlust ist und für die Regierung zu keinen Steuereinnahmen führt. Doch dies ist nicht die Zahl, die typischerweise von Brennmeistern oder in Büchern angegeben wird.

Es verdunstet neben dem Alkohol auch das enthaltene Wasser durch die Fasswand. Wir wissen jetzt nicht, wie viel Wasser während der Abfüllung zur Verdünnung auf 46% bei der Auchentoshan Flasche zugegeben wurde. Diese Zahl lässt sich jedoch an anderen Fassstärkeabfüllungen berechnen. Typischerweise findet man Werte, die bei gleicher Reifezeit geringer ausfallen.

Alkohol siedet bei einer niedrigeren Temperatur als Wasser. Deshalb verdunstet bei der Lagerung auch mehr Alkohol als Wasser. Der Chemiker spricht vom größeren Dampfdruck des Alkohols. Bei 10 Grad hat reiner Alkohol mehr als den doppelten Dampfdruck als Wasser. Wenn die Menge der Verdunstung am Dampfdruck der Flüssigkeiten allein läge, so würde bei typischen Lagertemperaturen um 10 Grad deutlich mehr Alkohol als Wasser verdunsten. Doch es gibt noch mehr Einflussgrößen: Die Zellstruktur des Holzes und die Moleküleigenschaften von Wasser und Alkohol beeinflusst den Austausch mit der Umgebung und auch der Feuchtigkeitsgehalt und die Temperatur der Umgebungsluft haben ihren Einfluss auf die Verdunstungsraten von Wasser und Alkohol.

Und dann bilden Alkohol und Wasser bei der Mischung noch ein Azeotrop, dessen gemeinsamer Siedepunkt unterhalb des höchsten Einzelsiedepunktes der beiden Stoffe liegt. Das hat natürlich zusätzlichen Einfluss auf den Dampfdruck und die Verdunstungsrate der Einzelkomponenten.

Neben den unterschiedlichen Umweltbedingungen hat auch die spezielle Wuchsform und die Porengröße des Holzes einen unterschiedlichen Einfluss je Fass. Uns als Whisky-Genießer liefern diese physikalischen Zusammenhänge die Erklärung für den unterschiedlichen Alkoholgehalt gleich alter Fässer.

Zwar sinkt über die Jahre der Füllstand aller Fässer, doch das gilt nicht immer für den Alkoholgehalt. Es gibt kuriose Ausnahmen. Von manchen Fässer verdunstet mehr Alkohol als Wasser und der Alkoholgehalt steigt. Dies gilt für wenige schottische aber zahlreiche amerikanische Fässer. Es hängt vor allem an der Lagertemperatur, die in hohen, modernen Lagerhäusern im Sommer unter dem Dach stark ansteigen kann. Dort finden sich die Fässer, deren Alkoholgehalt steigt. Alle physikalischen Einzelfaktoren, besonders der Dampfdruck, sprechen jedoch dagegen. Doch die Lagerung von Whisky ist komplex und noch nicht vollständig erforscht.

Auch die Berechnung einer durchschnittlichen Verdunstungsrate ist nur für relativ kurze Lagerzeiträume zulässig. Sinkt der Alkoholgehalt deutlich ab, so stellt sich durch den kleineren Alkoholgehalt auch eine geringere Verdunstungsrate gegenüber der Umgebung ein. Alte Fässer verlieren somit weniger Alkohol als junge.

Wenn der Flüssigkeitsstand eines Fasses nach Jahrzehnten erst einmal auf unter die Hälfte abgesunken ist, tritt noch ein weiterer Effekt auf. Die Fassdauben im oberen Bereich werden immer trockener und schrumpfen. Im schlimmsten Fall können Spalte entstehen, durch die ungehindert der Alkohol in die Umwelt verdunsten kann. Diesen Super-Gau der Lagerung versucht man durch regelmäßiges Beklopfen der Fässer zu erkennen. Tun sich Spalten auf, so verliert das Fass im Ganzen seine Spannung und das macht sich in einem veränderten Klang beim Schlag bemerkbar.

Sinkt der Alkoholgehalt eines Whiskyfasses auf unter 40%, so ist der Inhalt für uns Liebhaber auf immer verloren. Es darf nicht mehr als Whisky verkauft werden. Das Gesetz schreibt einen Mindestalkoholgehalt von 40% vor. So erging es einer Handvoll von Whiskyfässern einer berühmten Brennerei in der Speyside. Der Alkoholgehalt der nur noch minimalen Füllung von Fässern aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war sehr deutlich auf unter 40% abgesunken. Verkaufen konnte man den Malt nicht mehr. Er dient heute, abgefüllt in nicht verkäufliche Einzelflaschen, als beeindruckende Probe für Experten, die zum Zeitpunkt der Fassbefüllung noch lange nicht geboren waren.